Ukrainischer Botschafter Melnyk: "Putin schlimmer als Hitler" – tatsächlich?
von Kaspar Sachse
Der ukrainische Botschafter in Deutschland ist ein bekanntes Gesicht und darf in Deutschland in fast jede Kamera seine Meinung sagen – egal, wie umstritten diese auch sein mag. In einem Interview mit dem Journalisten Gabor Steingart verglich der 46-Jährige nun den 24. Februar 2022, den Tag des Einmarschs russischer Truppen in die Ukraine, mit dem 1. September 1939, dem Tag des Überfalls von Hitler-Deutschland auf Polen, mit dem der Zweite Weltkrieg begann. Andrei Melnyk wurde daher gefragt: "[Ist] Putin ein zweiter Hitler für Sie?" Die Antwort lautete prompt: "Schlimmer". Und weiter:
"Für mich persönlich ist Putin viel schlimmer, denn Hitler kennen wir nur aus den Schulbüchern oder der Geschichte. [Aber] Putin kennen wir mit seinem Antlitz und dieser Brutalität, die wir erleben, heute, gestern und wahrscheinlich auch morgen. Und deswegen ist [Putin] für uns viel schlimmer als Hitler."
Dass ein Melnyk Leute als "schlimmer als Hitler" bezeichnet, verwundert bei seiner offenen Verehrung für Nazi-Kollaborateure und Massenmörder nun nicht:https://t.co/egX8iEDU1x
— HaarigerWurstgurgler (@krankesschwein) March 30, 2022
Hier legt der ukrainische Botschafter eine seltsame "Logik" an den Tag, nach der offenbar einerseits nur die Gräuel "zählen", die man persönlich erlebt beziehungsweise zumindest in deren jeweiliger Zeitspanne man selbst gelebt hat. Demnach könnte auch die Geschichtswissenschaft sofort abgeschafft werden, wenn nur noch das hier und jetzt ohne den Vorlauf der Geschehnisse zählt.
Andererseits: Wenn es ins ideologische Kalkül passt, dann ist der historische Vergleich wieder legitim – wie bei Melnyk der Beginn des Zweiten Weltkriegs mit dem 24. Februar 2022. Nun gut, das kann ja jeder tun, wenn er nicht gerade der Botschafter eines Landes ist und seit Wochen in jeder zweiten Talkshow zu sehen ist.
Denn generell schießt einem bei Melnyks skurrilen Aussagen sofort die Frage durch den Kopf: Hat etwa auch Putin sechs Millionen Juden und 27 Millionen Russen auf dem Gewissen und noch Schlimmeres getan? Und wo bleibt da eigentlich der mediale Aufschrei von der Springerpresse bis zur Amadeu Antonio Stiftung wegen Holocaust-Relativierung? Jedoch: Schweigen im Walde. Dabei ist Melnyks Ausrutscher bei Weitem kein Einzelfall. Allein die letzten Wochen hatten es diesbezüglich in sich. Kleiner Auszug gefällig?
Die bekannte Schokoladenmarke "Ritter Sport" der Alfred Ritter GmbH & Co. KG will ihre Produkte auch weiterhin in Russland vertreiben. Daraufhin twitterte Melnyk am Dienstag in Anlehnung an deren bekannten Slogan:
"Quadratisch. Praktisch. Blut. Trotz der [russischen] Aggression gegen die Ukraine bleibt Ritter Sport in Russland. Viel Glück noch"
Mein Gott gehen sie mir auf den Sack mit ihrer Scheiße .In jedem anderen Land hätte man sie als Botschafter schon lange rausgeworfen .
— Michael Bünger (@BuengerMichael) March 29, 2022
Die Einladung zum Solidaritätskonzert für die Ukraine von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) lehnte Melnyk mit einer fadenscheinigen und offenkundig faktenwidrigen Begründung ab. Wenige Stunden vor Beginn der Veranstaltung am Sonntag twitterte er:
"Der Bundespräsident lud mich zum 'Solidaritätskonzert mit der Ukraine' 27.3. ein Kleiner Spoiler: es treten NUR RUSSISCHE (!) SOLISTEN auf (Pianist Kissin & Bariton Pogossov) Keine UkrainerInnen! Mitten im Krieg gegen Zivilisten! Ein Affront. Sorry, ich bleibe fern"
Ein „Affront" war Ihre Ehrung des Kriegsverbrechers und Kollaborateurs Stepan Bandera in München, den Sie als „ukrainischen Helden” geehrt haben. pic.twitter.com/av0l8w8mLL
— Juri Bakajew (@Juri_Bakajew) March 27, 2022
Dazu schrieb die Neue Musikzeitung am Montag:
"Die Sprecherin des Bundespräsidenten, Cerstin Gammelin, bedauerte die Entscheidung des Botschafters. Das Konzert biete die Möglichkeit eines gemeinsamen Zeichens für die Ukraine. 'Es ist schade, dass wir dieses Zeichen nicht gemeinsam senden können.' Gammelin wies darauf hin, dass im Zentrum des Programms der bedeutende ukrainische Komponist Valentin Silvestrov stehe, der im hohen Alter von 84 Jahren soeben selbst aus seiner Heimat geflohen sei. [...] Melnyk schrieb auf Twitter zur Stellungnahme von Sprecherin Gammelin: 'Mein lieber Gott, wieso fällt es dem Bundespräsidenten so schwer zu erkennen, dass solange russische Bomben auf Städte fallen und Tausende Zivilisten Tag und Nacht ermordet werden, wir Ukrainer keinen Bock auf 'große russische Kultur' haben. Basta.'"
Weiter heißt es dort, dass Musiker aus der "Ukraine, Russland und Belarus [...] in kleiner Besetzung im Großen Saal des Amtssitzes des Bundespräsidenten Werke ukrainischer, russischer und polnischer Komponisten" zum Besten gaben.
Am Tag zuvor echauffierte sich der ukrainische Botschafter über deutsch-russische Städtepartnerschaften – wieder mit vielen Ausrufezeichen:
"Das ist echt verrückt! Wir fordern alle deutschen Städte auf, ihre Partnerschaften mit Russland SOFORT zu stoppen. Alles Andere wäre ein unfreundlicher Akt gegenüber der Ukraine und Ukrainern. Und bitte: lassen Sie Flüchtlinge in in Ruhe. Sie brauchen keine Besucher"
‼️Das ist echt verrückt! Wir fordern alle deutschen Städte auf, ihre Partnerschaften mit Russland SOFORT zu stoppen. Alles Andere wäre ein unfreundlicher Akt gegenüber der Ukraine und Ukrainern. Und bitte: lassen Sie 🇺🇦Flüchtlinge in 🇩🇪 in Ruhe. Sie brauchen keine 🇷🇺Besucher‼️ https://t.co/YbptgajmgC
— Andrij Melnyk (@MelnykAndrij) March 26, 2022
Doch Melnyks Twitter-Timeline gibt noch mehr her: Vor zwei Wochen nahm er das in der Ukraine gegen Russland kämpfende "Asow-Bataillon" in Schutz – eine militante Truppe ukrainischer Nationalisten und Antisemiten, die sich gerne mit Hakenkreuzen und Wolfsangeln schmücken und seit Jahren die russische Bevölkerung im Donbass angreifen. Melnyk schrieb am 16. März:
"Bitte hören Sie auf, das Asow-Regiment zu dämonisieren und Propaganda – jetzt auch mitten im RUS Vernichtungskrieg – in die Hände zu spielen. Diese mutigen Kämpfer verteidigen ihre Heimat, vor allem die belagerte Stadt Mariupol. Lassen Sie sie in Ruhe."
Gibt es jetzt gute und schlechte Nazis oder bleiben Nazis einfach Nazis? Frage für den undiplomatischen Diplomaten, der fordert, fordert und nochnal fordert und mich langsam mal sonst wo kann, mit seinen Unverschämtheiten. SO macht man sich jedenfalls keine Freunde.
— Richard Feuerbach (@R_Feuerbach) March 16, 2022
Da war sie übrigens wieder: Melnyks Lieblingsfloskel vom "Vernichtungskrieg", den Russland angeblich gegen die Ukraine führe – wieder eine Holocaust-Verharmlosung und Russophobie der übelsten Sorte, denn Hitler und seine Schergen führten einen "Vernichtungskrieg" gegen Juden und slawische "Untermenschen".
Doch vielleicht findet Melnyk Hitler gar nicht so schlimm? Denn mit Verweis auf eine Kranzniederlegung des laut FAZ "ungewöhnlichsten Botschafters aller Zeiten" am Grab des Nazi-Kollaborateurs und Antisemiten Stepan Bandera 2015 twitterte ein Kommentator zu dem albernen Putin-Hitler-Vergleich:
"Dass ein Melnyk Leute als 'schlimmer als Hitler' bezeichnet, verwundert bei seiner offenen Verehrung für Nazi-Kollaborateure und Massenmörder nun nicht."
Dass ein Melnyk Leute als "schlimmer als Hitler" bezeichnet, verwundert bei seiner offenen Verehrung für Nazi-Kollaborateure und Massenmörder nun nicht:https://t.co/egX8iEDU1x
— HaarigerWurstgurgler (@krankesschwein) March 30, 2022
Doch welche Affronts Herr Melnyk undiplomatisch und im Staccato-Rhythmus auch noch von sich geben mag – er wird weiterhin in deutschen Talkshows ein und aus gehen, ganz egal, wie unbedacht und menschenverachtend seine Äußerungen auch sein mögen.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.