25 Jahre nach Abzug der Sowjettruppen: Was ist seitdem schiefgelaufen?
von Zlatko Percinic
Es war eine gigantische Herausforderung für alle Beteiligten, nachdem im Juli 1990 im Kaukasus der Durchbruch zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und dem sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow gelang. Als das "Wunder vom Kaukasus" sollte die Einigung in die Geschichtsbücher eingehen, wonach Moskau von seiner Bedingung eines neutralen wiedervereinigten Deutschlands abrückte und stattdessen sein Einverständnis für den Verbleib bzw. die Aufnahme des ehemaligen DDR-Gebietes in das Militärbündnis NATO gab. Das bedeutete aber auch, dass die über 500.000 in Ostdeutschland stationierten sowjetischen Soldaten und deren Familien abziehen müssten.
Der Aufenthalts- und Abzugsvertrag vom Oktober 1990 regelte den Abzug der als Westgruppe der Truppen (WGT) bekannten sowjetischen Armee. Darin wurde vereinbart, dass dieser Prozess bis Ende 1994 abgeschlossen sein muss (1992 wurde der Zeitraum auf den 31.09.1994 verkürzt).
Der Frage, was das überhaupt bedeutet hat, gingen am 10. September an einer Konferenz anlässlich des 25. Jahrestages Zeitzeugen und daran unmittelbar Beteiligte nach. Geladen hatte die Stiftung West-Östliche Begegnungen in Kooperation mit dem Deutsch-Russischen Forum. Unterstützung kam zudem von den Landesvertretungen von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern in Berlin. Zentrales Thema war nicht nur die Erinnerung an dieses historische Ereignis, sondern auch ein Blick in die Zeit davor, die diesen Schritt erst ermöglicht hat. Und mit diesen Erkenntnissen versuchte man auch, einen Blick in die Zukunft zu richten, um "Perspektiven der Vertrauensbildung" zwischen Deutschland und Russland zu schaffen.
Wenn man aber erst Perspektiven der Vertrauensbildung suchen muss, bedeutet das angesichts der Vertrauensbasis der frühen 1990er Jahre zwischen Bonn und Moskau, dass seitdem etwas schiefgelaufen ist. Wie groß das Vertrauen und der Respekt voreinander damals tatsächlich waren, bestätigten die anwesenden Gäste.
Professor Dr. Horst Teltschik, Kanzlerberater von Helmut Kohl und Unterhändler für deutsche Kredite an die Sowjetunion, berichtete über die Geisteshaltung, die die Basis für das Vertrauen schaffte. In einer Zeit, in der sich die von zwei Supermächten dominierte bipolare Weltordnung auflöste und der Kalte Krieg zu Ende ging, versuchten die vermeintlichen Gewinner nicht, als solche aufzutreten. Die US-Regierung von George H. W. Bush und auch Außenminister James Baker traten gegenüber den sowjetischen Vertretern auf Augenhöhe auf. Man vermied es, die Russen als Unterlegene zu betrachten und sie damit unweigerlich in eine andere Rolle zu drängen, die den Absichten in und mit Deutschland im Wege gestanden hätten.
Mit dem noch heute gültigen sogenannten "Großen Vertrag" vom 9. November 1990, dem "Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit" zwischen Deutschland und der Sowjetunion und später auch Russland, wurde diese Geisteshaltung institutionalisiert. Außenminister Hans-Dietrich Genscher fasste diese wie folgt zusammen:
Wir Deutschen wollen das Verhältnis zur Sowjetunion in freundschaftlichem Geist mit dem Willen zur Zusammenarbeit gestalten. Wir stehen nicht am Ende, sondern am Anfang einer neuen Phase in den deutsch-sowjetischen Beziehungen. Die Beziehungen zwischen unseren Ländern gründen sich auf gegenseitiges Vertrauen …
Auch Generaloberst Anton Terentjew, der letzte Oberbefehlshaber der WGT-Truppen, erinnerte daran, dass der Abzug seiner Soldaten und Familien "eine Geste für eine Hoffnung einer besseren Zukunft" war. Leider habe sich diese Hoffnung nicht erfüllt, genauso wenig wie der Wunsch nach einem stabileren Europa. Terentjew hob hervor, dass Russland zweimal in seiner Geschichte (1871 und 1990) den Deutschen die Einheit ermöglichte, doch dass sich daraus nie eine langfristige Partnerschaft ableiten ließ.
Stolz und Anerkennung für die Leistung des russischen Generalstabs und des Verbindungskommandos der Bundeswehr, die den Abzug durchführten und unterstützten, ist auch 25 Jahre danach auf beiden Seiten noch allgegenwärtig. 338.000 Soldaten und 207.000 Familienangehörige verließen ihre Heimat auf Zeit, um in eine ungewisse Zukunft in ein Land zurückzukehren, das nicht mehr das Gleiche war wie zum Zeitpunkt ihrer Abreise. 8.208 gepanzerte Fahrzeuge, 4.116 Panzer, 691 Flugzeuge, 638 Hubschrauber und 2,6 Millionen Tonnen Material einschließlich 677.000 Tonnen Munition mussten verladen und auf dem Seeweg nach Russland transportiert werden, nachdem Polen zu viel Geld für den Transit über sein Territorium verlangt hatte.
Auch der ehemalige stellvertretende Leiter des Verbindungskommandos und spätere Inspekteur der Luftwaffe sowie Oberbefehlshaber des europäischen NATO-Kommandos in Brunssum, General a. D. Gerhard Back, bestätigte die "generalstabsmäßige" Leistung der Russen. Im Verbindungskommando sei man zudem sehr dankbar über die Unterstützung gewesen, die die Bundeswehr von Offizieren der Nationalen Volksarmee der aufgelösten DDR erhalten hatte.
Während also die Stimmung bei den Gastrednern der vergangenen Tage durchweg positiv war und beide, Deutsche wie Russen, Hoffnung auf eine bessere und gemeinsame Zukunft hegten, schwang bei der zweiten Runde mit Vertretern aus Politik und Wissenschaft eher ein pessimistischer Ausblick mit.
Dr. Gernot Erler, langjähriger Bundestagsabgeordneter und von 2005 bis 2009 Staatsminister im Außenministerium sowie von 2014 bis 2018 Russland-Beauftragter der Bundesregierung, verordnet die Wende in den Beziehungen Anfang der 2000er Jahre. Die Hilfsangebote der russischen Regierung nach den Anschlägen des 11. September 2001 wurden von den USA ausgeschlagen, genauso wie der Wunsch Moskaus, eine gemeinsame Sicherheitsstruktur in Europa aufzubauen. Mit der Aufkündigung des ABM-Vertrags durch die US-Regierung 2002 habe schließlich ein "Entfremdungsprozess" zwischen West und Ost begonnen, der immer bedrohlichere Ausmaße angenommen hat.
Mit dieser Einschätzung stand Erler nicht allein da. Peter Schulze, Professor für internationale Beziehungen und russische Studien an der Universität von Göttingen, beklagt ebenfalls das Desinteresse des Westens und tragischerweise auch Deutschlands, die Beziehungen zu Russland zu verbessern. Schon lange vor der Entwicklung in der Ukraine sei man auf Distanz gegenüber Moskau gegangen und habe sämtliche Vorschläge, sowohl von Wladimir Putin als auch von Dmitri Medwedew, in den Wind geschlagen. Noch im Juni 2008 schlug Medwedew vor, die "Unteilbarkeit" der europäischen Sicherheit "rechtlich verbindlich" zu regeln.
Lediglich den damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier schien diese Idee zu interessieren, als er bei seiner Rede vor dem OSZE-Ministerrat im Dezember 2008 in Helsinki darauf einging. Eine "tragfähige Sicherheitsarchitektur" in Europa bezeichnete er als "unverzichtbar". Aber das Kanzleramt schien diese Ansicht nicht zu teilen, und die Idee wurde begraben.
Ein Ausweg aus der verfahrenen Situation kann nur über die Ukraine laufen, darin sind sich Schulze und Erler einig. Doch für Dr. Wasili Fedortsew vom Baltischen Regionalen Informations- und Analysezentrum in Kaliningrad ist genau das das Problem. Denn im Gegensatz zum Kalten Krieg gibt es heute keinen einheitlichen Westen mehr. Stattdessen gibt es die USA und eine höchst unberechenbare Europäische Union, wo die unterschiedlichen Interessen der Mitgliedsländer keine kohärente Außenpolitik erlauben.
Gerade was Russland betrifft, beeinflussen Staaten wie Großbritannien, Polen und die kleinen baltischen Länder die Haltung der Union überproportional. Steinmeiers Maxime von "so viel Verteidigungsbereitschaft wie nötig, so viel Dialog und Zusammenarbeit wie möglich", wird gerade im Baltikum ins Gegenteil versetzt. Deshalb ist Fedortsew sehr skeptisch, was den Lösungsansatz über die Ukraine betrifft, da es gerade diese genannten Länder waren und sind, die zu den Scharfmachern in dieser Frage gehören.
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Mit dem von Warschau gewünschten US-Stützpunkt "Fort Trump" in Polen würde es nur einen zusätzlichen "destabilisierenden Faktor" in Osteuropa geben, und das könne eigentlich nicht im Interesse Deutschlands liegen, ist sich der Leiter der Kaliningrader Denkfabrik sicher. Eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Russland und Deutschland sei demnach nur über Polen und die baltischen Länder möglich, weshalb es dringend notwendig ist, einen Dialog mit den Regierungen in Riga, Tallinn, Vilnius und Warschau zu führen. Staatsminister a. D. Gernot Erler meinte dazu, dass man das Weimarer Dreieck – ein eher loses, aber konstruktives Gesprächsforum zwischen Deutschland, Frankreich und Polen – vielleicht hätte weiterführen sollen, dann wäre möglicherweise alles nicht so weit gekommen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in der gegenwärtigen Situation des "fast nicht aufzuhaltenden Prozesses der globalen Aufrüstung", um die Worte von Horst Teltschik zu benutzen, der Blick in die Zukunft eher skeptisch ausfällt. Der ehemalige Kanzlerberater stellte deshalb zurecht die Gretchenfrage:
Wurde wirklich alles getan, um den Frieden zu sichern?
Da die Politik an dieser Stelle ganz offensichtlich versagt und die Vertrauensbasis der frühen 1990er Jahre leichtfertig verspielt hat, liegt die Hoffnung erneut bei der Zivilgesellschaft. Mit gegenseitigem Austausch, Besuchen und Verständnis für Geschichte und Kultur des jeweils anderen sollen die Brücken zwischen Deutschland und Russland wiederaufgebaut werden, die während der Kanzlerschaft von Angela Merkel eingerissen wurden.
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