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Pandemieaufarbeitung in der Erzdiözese Fulda: "Was haben wir für Fehler gemacht?"

Bei der Veranstaltung "Die Corona Pandemie – ein Resümee" zogen ein Richter, ein Immunologe, ein Theologe und ein Gesundheitsdezernent jeweils ihr Fazit aus der Coronapandemie. Welche Lehren wurden aus der Pandemie gezogen, und was würde man beim nächsten Mal anders machen?
Pandemieaufarbeitung in der Erzdiözese Fulda: "Was haben wir für Fehler gemacht?"© Felicitas Rabe

Von Felicitas Rabe

Unerwartet großes öffentliches Interesse erfuhr am Mittwoch der Akademieabend "Die Corona Pandemie – ein Resümee" in Fulda. Dazu hatte die katholische Akademie des Bistums Fulda in Kooperation mit der Fuldaer Zeitung in den großen Saal des Bonifatiushauses in Fulda eingeladen. Weil die 180 Plätze des Saals für die 500 Anmeldungen nicht ausreichten, wurde die Veranstaltung kurzfristig auch per Lifestream im Internet übertragen. Offensichtlich wird die katholische Kirche in Teilen der Bevölkerung immer noch als wichtige moralische Instanz wahrgenommen, deren Einordnung der Pandemiezeit entsprechendes öffentliches Interesse entgegengebracht wird – jedenfalls im Erzbistum Fulda.

Motiv der Veranstaltung: Aufarbeitung der Fehler und der Spaltung der Gesellschaft in der Coronazeit

In seiner Begrüßung sprach der Chefredakteur der Fuldaer Zeitung, Michael Tillmann, über das Motiv für die Reflexion der Corona-Pandemie. Es habe selten so viel Polarität und Unvereinbarkeit von Meinung gegeben, wie während der Corona-Pandemie. Bei der Veranstaltung wolle man deshalb auch reflektieren "Was war hier los?" und "Was haben wir für Fehler gemacht?"

Der Direktor der Katholischen Akademie Fulda, Gunter Geiger, erklärte gleich zu Beginn, es solle in der Veranstaltung nicht um die Frage "Wer hat Schuld?" gehen, sondern um die Frage "Was würden wir im Nachhinein anders machen – wie würden wir heute mit einer Pandemie umgehen?".

Am Podium beteiligten sich vier Experten aus den Bereichen, Medizin, Recht, Religion und Verwaltung: der Mediziner Prof. Dr. Peter M. Kern, Immunologe und Chefarzt am Klinikum Fulda; der Jurist Prof. Dr. Carsten Schütz, Direktor des Sozialgerichts Fulda; der Generalvikar des Bistums Fulda, Prälat Christof Steinert und der Gesundheitsdezernent des Landkreises Fulda und CDU-Kreisvorsitzende, Frederik Schmitt. Moderiert wurde das Gespräch vom Ressortleiter für Politik der Fuldaer Zeitung, Bernd Loskant und dem Akademiedirektor Gunter Geiger.

Stärkung der Debattenkultur unter Ausschluss von Verfassungsfeinden

In seinem Eingangsstatement erläuterte CDU-Gesundheitsdezernent Schmitt, dass es bei der Aufarbeitung von Corona vor allem um eine Stärkung der Debattenkultur gehen müsse und um das Aushalten unterschiedlicher Meinungen. Das beinhalte aber nicht die Meinungen von Verfassungsfeinden. Generalvikar Steinert habe sich während der Pandemie an mittelalterliche Maßnahmen und an den Umgang mit Aussätzigen erinnert gefühlt. Als christliche Gemeinschaft habe man außer Acht gelassen, dass Gottesdienste rechtlich geschützt seien. "Ich kann die nicht einfach absagen", stellte Steinert im Nachhinein fest.

Nach Aussage von Sozialamtsdirektor Schütz, wäre eine Handhabung des Grundgesetzes, wie sie während der Pandemiezeit stattfand, vor 30 Jahren für Juristen unmöglich gewesen. So etwas hätte man früher für "völlig irre" gehalten. Nach Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes müssten sich Rechtssprechung und Verwaltung auch im Falle von Pandemien an die Verfassung halten. Insofern sei er enttäuscht, dass in der Coronazeit seitens der juristischen Staatsgewalt staatstragende Prinzipien auf den Kopf gestellt worden seien.

Erkenntnisgewinn über den Erwerb von Immunität: Es braucht mehrere Impfungen und Infektionen

Immunologe Kern betonte, in den vier Jahren seit Beginn der Pandemie habe man so viel über Immunologie gelernt wie in den 40 Jahren zuvor. Insofern sei man jetzt auf die nächste Pandemie viel besser vorbereitet. Als wichtigste neue Erkenntnis habe man nun auch verstanden, wie Immunität beim Menschen entstehe:

"Es braucht zwei, drei Impfungen und Infektionen für eine Immunität", erklärte der Fuldaer Chefarzt.

Durch die Maßnahmen habe man das Leben der alten Menschen verlängert. Aber eine Lebensverlängerung sei nicht immer das größte Geschenk seitens der Medizin. Im Nachhinein bedauere er die Isolation von Pflegefällen in Seniorenheimen: "Wir haben zwar ihr Leben verlängert, aber was haben wir ihnen ethisch angetan! Ist die Verlängerung des Lebens das höchste Geschenk, was man machen kann, oder sollen sie nicht lieber in den Armen ihrer Angehörigen einschlafen?"

Als Nächstes sprach Gesundheitsdezernent Schmitt über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder und Jugendliche. Auch ohne genauere Evaluation könne man bereits feststellen, dass sich die Maßnahmen auf die körperliche Entwicklung der Minderjährigen in Bezug auf die Parameter Ausdauer. Leistungsfähigkeit und Koordination nicht negativ ausgewirkt hätten. Seit 1970 gingen die Fähigkeiten der Kinder in diesen Bereichen zurück. Dieser Trend habe sich auch in der Coronazeit fortgesetzt. Bei den psychischen Erkrankungen habe es zwar während der Coronazeit eine Zunahme gegeben – besonders Mädchen seien häufiger psychisch erkrankt –, solche Ausschläge gäbe es aber langfristig gesehen zu allen Zeiten.    

Statt Ausbruch einer Pandemie demnächst "Ausbruch eines Krieges"?

Bei der Auswertung der Coronazeit stelle sich für Schmitt die Frage: "Wo müssen wir zukünftig nachsteuern?" Nach seiner Auffassung könne es sich bei der nächsten Krise anstelle des Ausbruchs einer Pandemie um "den Ausbruch eines Krieges" handeln. Bei der Krisenvorsorge müsse deshalb die Katastrophenvorsorge, die zivile Verteidigung, miteingebunden werden. Dabei sei das Thema Eigenvorsorge der Bürger das größte Handlungsfeld für die Verwaltung.

Rechtsprofessor Schütz war es dann wichtig zu betonen, dass es nicht Corona gewesen sei, weswegen wir uns zum Beispiel nicht treffen durften. Die Verantwortung für die Maßnahmen trage die Politik und nicht das Virus. Das sei häufig falsch dargestellt worden. Die Richter seien in einigen Verfahren gegen die Coronamaßnahmen bis heute von Befangenheit betroffen. Bei den Gerichtsverfahren habe man versäumt, Experten und Gutachten hinzuzuziehen. Die Zeit sei bei deutschen Gerichten kein limitierender Faktor. Es sei vielmehr um die Kontrolle über das Coronanarrativ gegangen, welches man seitens der Richterschaft nicht ernsthaft prüfen wollte.

Wo die Politik den Druck aus der Bevölkerung nicht aushalte, bezahle man einen hohen Preis

Anschließend forderte der Mediziner Kern bei künftigen Pandemien: "Wie kann man Menschenleben gegen einen Verlust von Lebensqualität aufrechnen? Das muss man in Zukunft besser machen!" In Neuseeland habe es aufgrund der Null-COVID-Politik in zwei Jahren nur 68 Todesfälle gegeben. Aber nach zwei Jahren hätten sich die Neuseeländer "demokratisch" gegen eine Fortführung der Null-COVID-Politik entschieden. Infolgedessen habe man ab März 2022 in Neuseeland eine doppelt so hohe Sterberate wie hierzulande bekommen. Aus dem Beispiel Neuseeland lerne man:

"Nur weil die Politik den Druck aus der Bevölkerung nicht ausgehalten hat, bezahlt man dafür einen hohen Preis."

In jedem Fall habe Deutschland im internationalen Vergleich im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen gut abgeschnitten. Konkrete Zahlen dafür lieferte Gesundheitsdezernent Schmitt. In Fulda seien auf 100.000 Einwohner 100 Menschen an Corona verstorben, in Hessen habe es genau wie im Bundesdurchschnitt 220 Coronatote auf 100.000 Einwohner gegeben. Dagegen seien in Thüringen 400 Menschen pro 100.000 Einwohner an und mit Corona gestorben.

In den Prozessen gegen Kritiker der Coronamaßnahmen wurden juristische Standards nicht eingehalten

Jurist Schütz befasste sich vertiefend mit der Verfassungsverletzung während der Corona-Pandemie. Hinsichtlich der Nichteinhaltung der Verfassung könnten sich Verfassungsrichter nicht auf die Unsicherheit der Situation berufen – Unsicherheit sei der Alltag jeden Richters. Deswegen müsse man bei Gerichtsverfahren regelmäßig Experten zurate ziehen. Und bei Uneindeutigkeit der Bewertung, gälte auch bei Verfahren gegen Verweigerer von Coronamaßnahmen das Prinzip "Im Zweifel für den Angeklagten." Aber in diesen Verfahren habe man weder vernünftig geprüft noch im Zweifel für den Angeklagten entschieden, monierte der Rechtsprofessor. Insbesondere kritisierte er den Umgang mit der Impfung:

"Mit welchem Nichtwissen man diese Impfung zugelassen hat, das geht gar nicht."

Die hohe Gefährlichkeit des Virus habe grobe Maßnahmen gerechtfertigt, entgegnete Prof. Kern. Leider habe man die Maßnahmen, zum Beispiel die Impfungen, nicht an die wachsenden Möglichkeiten angepasst. Es sei immer schwieriger geworden, den zusätzlichen Nutzen von weiteren Impfungen zu erklären, bedauerte er. In Zukunft könne man es besser machen, indem man am Anfang einen pauschalen Impfansatz verfolge. Bei weiteren Impfungen zu einem späteren Zeitpunkt müssten dann die Ärzte Einzelfallentscheidungen für ihre jeweiligen Patienten treffen.

Die Schließung der Gottesdienste sei zum damaligen Zeitpunkt eine gute Entscheidung gewesen, rekapitulierte der Generalvikar den Umgang der katholischen Kirche mit der Ausübung der Religion. In Würdigung der Rechtssituation habe man später Gottesdienste zu G2- und G3-Bedingungen durchgeführt.

Bei zukünftigen Pandemien einheitliche Regelung für alle anstatt kleinteiliger regional unterschiedlicher Verordnungen

In der Abschlussrunde sprach sich Gesundheitsdezernent Schmitt gegen die regionale Kleinteiligkeit und Einzelregelungen der Coronaverordnungen aus. Das müsse bei zukünftigen Pandemien vereinheitlicht werden. Schließlich beschwere man sich ja auch sonst über die überbordende, kleinteilige Bürokratie. Grundsätzlich habe man seiner Auffassung zufolge die Pandemie in Deutschland "mit Maß und Mitte" gehandhabt.

Das sah der Sozialgerichtsdirektor Schütz anders. Die Maßnahmen hätten zum Beispiel zu Gewerbeschließungen geführt und man sei nur ganz knapp an der allgemeinen Coronaimpfpflicht vorbeigeschlittert. Der Bundeskanzler habe diesbezüglich erklärt: "Es gibt keine roten Linien". Schütz kritisierte auch den Umgang mit Ungeimpften, die man von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgegrenzt habe. Laut Aussage des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, sei der juristische Umgang mit Corona verfassungswidrig. Dennoch verfolge die Justiz entsprechende Ordnungswidrigkeiten bis heute mit aller Härte.

mRNA-Impfung als größte Errungenschaft der Pandemie

Für Gesundheitsdezernent Schmitt war die Impfung "extrem wichtig". "Wir wären nicht so schnell dadurch gekommen ohne die Impfung." In der Geschichte der Menschheit hätten Impfungen extrem viele Leben gerettet. Die größte Errungenschaft in der Pandemie sei die Einführung der mRNA-Impfung gewesen, resümierte auch Prof. Kern. "Hätten wir diese Technologie nicht, wären wir immer noch alle ungeschützt."

Die Einführung der mRNA-Technologie sei ein "epochaler Schritt". Damit sei man für zukünftige Pandemien viel besser gerüstet. Ein Problem sei hierzulande noch der Datenschutz, weil er die Sammlung von "guten Daten aus Deutschland" verhindere. Vor allem aber hoffe er, dass man für eine neue Pandemie gelernt habe, dass "in der Polarisierung von komplexen Wahrheiten die größte Gefahr" liege. Am Ende bemängelte der Gesundheitsdezernent noch die fehlende Gemeinwohlorientierung in unserer Gesellschaft. Eine große Herausforderung für die nächste Pandemie sei deshalb die Stärkung des Gemeinwohlsinnes. Hierzulande werde noch zu sehr auf das individuelle Eigenwohl gesetzt.

Eindrücke von Veranstaltungsbesuchern

Nach Rückfragen bei Teilnehmern über deren Eindrücke erfuhr die Berichterstatterin mehrfach, man habe von der Veranstaltung "nicht mehr erwartet". Einzelne Besucher waren dennoch enttäuscht. Zu einer Aufarbeitung gehöre auch, über die Probleme der Impfgeschädigten zu sprechen. Andere widersprachen der Aussage, wonach man angeblich das Leben der Senioren in den Pflegeheimen durch die Maßnahmen verlängert habe beziehungsweise die Mediziner ihnen "mittels Isolation das Geschenk eines längeren Lebens" gemacht hätten.

In den Pflegeheimen, so die Kritiker der Podiumsdiskussion, hätte man im Gegenteil festgestellt, dass viele der Heimbewohner aufgrund der Isolation ihren Lebensmut verloren und körperlich und seelisch bis hin zum Tode abgebaut hätten. Trotz aller Kritik an einzelnen Aussagen der Experten waren einige der Teilnehmer doch froh, dass hier ein Anfang der Aufarbeitung der Coronazeit gemacht worden sei. Wenigstens rede man nun endlich miteinander, erklärten zwei Teilnehmerinnen.

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